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Body Positivity

Das Dünn-Privileg – Fettphobie im Alltag

Ich bin 1,60 m groß und wiege mehr als der Durchschnitt. Bei Kleidung schwanke ich, je nach Klamotte, zwischen Größe 40/M und 44/XL. Obwohl ich keine Probleme habe schöne Kleidung zu finden, ist es dennoch schwierig, sich das Sommerkleidchen mit Hängerchen ohne BH bei einem F-Körbchen vorzustellen. Sowieso sehen viele Kleidungsstücke so aus, als seien sie eigentlich nicht für die kurvige Frau gemacht.

Als ich vor einigen Monaten zu meiner Hausärztin ging, damit sie mich untersucht, um weitere Ursachen für eine ungeklärte Gewichtszunahme (neben meiner Endometriose) auszuschließen oder zu finden und ich erklärte, dass ich in der Woche viel Sport treibe, sagte sie nur: „Wir sprechen hier aber nicht von einer Stunde Schach, wenn wir von Sport sprechen.“ Adieu, Frau Doktor!

Dating kann gut funktionieren. Doch auch hier habe ich schon Männer kennengelernt, die mich aufgrund meines Körpers nicht für etwas Festes gesehen haben. Spaß war dagegen möglich, denn dabei muss man schließlich nicht Händchen haltend mit mir über die Straße laufen.

Ich laufe als dicke Person durch die Welt und habe somit die Diskriminierung dicker Menschen am eigenen Leib erlebt. Und was ich auch erlebt habe, ist das „Thin-Privilege“, das Dünn-Privileg.

Skinny-Shaming ist mit Fat-Shaming nicht zu vergleichen

In Zeiten, in denen Fat-Shaming immer beliebter wird, obwohl sich das Durchschnittsgewicht der Bevölkerung ohnehin erhöht, hört man ständig, dass es auch „Skinny-Shaming“ gibt. Erzähle ich einer Freundin, dass ich wieder auf der Straße angeschaut wurde, weil ich gerade in mein Brötchen gebissen habe oder dass mir die Insassen eines vorbeifahrenden Autos, während ich telefonierend mein Fahrrad schob, zugerufen haben, ich „fette Sau“ müsse mich schon auf das Rad setzen, um abzunehmen, höre ich von ihr nur, dass es Dünne auch nicht einfach hätten.
Da höre man von Mitmenschen ständig, man solle doch etwas mehr essen, damit man mal etwas zunimmt. Ja, die Aussage ist nicht nett. Ja, es gibt viele Dünne, die zunehmen wollen und nicht können. Doch vergleichbar ist Skinny-Shaming mit Fat-Shaming absolut nicht. Denn die reine Boshaftigkeit beim Skinny-Shaming bleibt aus.

Dünn genannt zu werden, ist niemals eine Beleidigung, sondern eher ein Kompliment. „Oh, wow, du hast abgenommen.“ Dieser Satz allein drückt aus, dass das Gegenüber davon ausgeht, man sähe mit ein paar Kilos weniger gleich viel besser aus. Dagegen ist es eine Beleidigung „fett“ genannt zu werden, denn damit gehen Ausdrücke wie „faul“, „unsportlich“ und „ungesund“ einher. Macht jemand einen Fett-Witz, werden alle Umstehenden diesen verstehen, weil es in unserer Gesellschaft geradezu verankert ist, über „Fette“ zu lachen.
Gesichter verändern sich bei einer Abnahme im Vergleich zum Rest des Körpers eher weniger. Das bloße Aussehen des Gesichts bleibt. Ich werde nicht schöner, nur weil ich Gewicht verliere. Was sich ändert, ist die Ausstrahlung, denn wenn sich jemand vorher unwohl und ungeliebt fühlte, war dies deutlich zu sehen. Bei vielen führt die Gewichtsabnahme aber zu einer Steigerung des Selbstbewusstseins und somit zu einer offeneren und freundlicheren Ausstrahlung. Das hätte ein positiver Umgang mit dem dicken Körper auch schaffen können.

„Mein Hintern ist fett geworden!“

Vor einigen Monaten beschwerte sich eine Bekannte bei mir darüber, dass ihr Hintern richtig fett geworden wäre. Sie ist, 1,50 m groß und trägt Größe 34/XS. Ich kam nicht umhin, auf ihr kleines Popöchen zu schauen, um das Fett zu finden. Natürlich fühlen sich auch Dünne in ihrem Körper einmal nicht wohl und haben ihre Problemzonen. Sie stehen auch vor dem Spiegel, begutachten sich von oben bis unten und sind nicht mit jedem Körperteil zufrieden. Doch es gibt einen Unterschied zwischen einem persönlichen Blick auf sich selbst als dünne Person und „Fatphobia“. Die einzige Person, die sich fragt, ob sie die Schönheitsstandards der Gesellschaft trifft, ist die schlanke Person selbst.

Dünn-Privileg-Situationen

Es ist für Dicke völlig anders.
Wenn man nicht dünn ist und es sich wagt, an den Strand zu gehen, fühlen sich sogar völlig Fremde dadurch angegriffen. Wenn du nicht dünn bist, solltest du auf keinen Fall im Badeanzug oder gar Bikini unter die Augen der Öffentlichkeit treten.

Dicke werden umgehend als ungesund eingestuft, egal, ob sie es sind oder nicht. Dünne können einen ungesunden Lebensstil führen und ihr Körper mag innerlich nicht gesund sein, sie werden aber niemals allein anhand ihres Aussehens als ungesund eingestuft.

Und auch an der Kasse im Supermarkt zu stehen, kann schon zu einer Farce werden. Während Dünne ohne Umstände Schoki, Kekse und richtig fettigen Käse auf das Band legen können, sind die anderen Kunden extrem am Einkauf der Dicken interessiert. Da folgen dann Kommentare, dass es den Käse auch fettreduziert gäbe oder die Schokolade doch getrost durch Äpfel getauscht werden könne.

Ein weiteres Privileg von Dünnen ist es, als einfach schön bezeichnet zu werden – ganz ohne eine Einschränkung auf einen bestimmten Körperteil. Dicke hören oft: „Du hast ein wirklich hübsches Gesicht!“ Auch ein dicker Körper kann schön sein. Aber es ist ja ein dicker Körper und so fällt man aus dem gesellschaftlichen Raster für Schönheit und das bisschen Schönheit, dass man vorweisen kann, ist auf das Gesicht beschränkt.

Bei dünnen Menschen wird auch nie erst einmal nur nach Anblick des Körperbaus davon ausgegangen, dass sie faul sind. Dünne können die größten Couchpotatoes sein, sich mit Chips voll futtern und höchstens am Fitnessstudio vorbeifahren. Als zu faul würde sie dennoch niemand bezeichnen.

Partner von Dünnen werden auch nicht gefragt, wie der Sex so ist, nur weil sie dünn sind, während Partner von Dicken häufig gefragt werden, wie der Sex so funktioniert.
Um hier einmal zu kommentieren: Außer, dass wir dicken Mädels eher schwer in der Dusche zu heben sind, funktioniert alles ganz wunderbar. Niemand wird unter uns zerquetscht. 

Wird man als Dicker von Freunden oder Bekannten gegenüber Fremden erwähnt, ist eine häufige Beschreibung: „Sie ist etwas schwerer, aber super nett“ oder „Sie ist zwar etwas kurvig, aber trotzdem eine ganz Süße.“ Eine treffende Beschreibung wie: „Sie ist klein, brünett, hat dunkle Augen und ein breites Lächeln, ist super ehrgeizig und engagiert“, scheint nicht passend zu sein.

Und sogar in der Arbeitswelt ist das Dünn-Privileg sichtbar. Statistiken belegen, dass Übergewichtige weniger Gehalt bekommen und seltener befördert werden.

Das Dünn-Privileg gibt es. Und wenn von Bodyshaming gesprochen, obwohl es dabei um „Skinny-Shaming“ geht, bitte denkt daran, dass es hier wirklich Unterschiede gibt und das Dünn-Privileg real ist. Aber es scheint, dass es immer noch gesellschaftlich akzeptabel ist, dicke Menschen zu diskriminieren, während sich immer mehr dafür einsetzen, dass es beispielsweise keine Diskriminierung bestimmter Religionen oder Sexualitäten gibt. Es wäre wundervoll, wenn die Diskriminierung von Dicken endlich auch ein Ende finden würde.